Wolkersdorf im Weinviertel

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Blog | Regen von gestern

16.04.2024 07:50

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Regen von gestern

07.09.2018 00:00

Das Oberitalientief ist samt Randtiefs weitergezogen, die letzten Tage haben wir wieder einige Sonnenstunden gesammelt. Das Regenwochenende wird dank mehrerer Rekorde an meiner Station in Erinnerung bleiben: Der meiste Tagesniederschlag, die höchste Niederschlagsrate, der meiste Niederschlag binnen zwei Tagen und sicher noch einige andere, die ich übersehen habe. Ich mag heute aber nicht mehr über den Regen, sondern einen NÖN-Artikel von Ende August schreiben, der mich einigermaßen ratlos zurückgelassen hat. Darin wurde der heurige Sommer abgehandelt und der große Bogen zum Klimawandel geschlagen, wobei die Aussagen des Artikels und die Auskünfte der herangezogenen Experten leichte Unruhe in mir verbreiteten. Klar, man kann keinen Nature-Fachartikel zwischen den Neuigkeiten über Wolkersdorfer Volksschule und Laaer Zwiebelfest erwarten, aber die Verbreitung von Halbwahrheiten bis Ganzfalschheiten ist nicht optimal.

Zunächst findet sich nach einer Wortspende von einem Kollegen aus Höbersbrunn bei Mistelbach, der ebenfalls eine private Wetterstation betreibt, der zusammenfassende, schöne Satz "Die Wetterdaten der letzten zwei Monate sind also nicht außergewöhnlich". Das ist eine kühne Bemerkung, zumal in den letzten Monaten einige Rekorde gepurzelt sind, die seit Beginn der Messungen in Österreich (im späten 18. Jahrhundert) bestehen, und weitere bemerkenswerte statistische Ausreißer aufgetreten sind, die sicher auch vor Höbersbrunn nicht halt gemacht haben. Eine kurze Aufzählung basierend auf dem hervorragenden Blogbeitrag des Meteorologen Manuel Kelemen, in dem auch Wolkersdorf zu einer eher zweifelhaften Nennung kommt:

  • Noch nie gab es in Österreich eine derart lange anhaltende Hitzewelle (33 Tage in Wien, 30 Tage in St. Pölten - der bisherige Rekord war jeweils 29 Tage) wie diesen Sommer. Bedenklich auch, dass selbst eine relativ harmlose Wetterlage wie Ende Juli und Anfang August, als Mitteleuropa eigentlich unter einer Nordströmung lag, bereits zu der Hitzewelle beitragen konnte.
  • Noch nie gab es an einer österreichischen Wetterstation so viele Tropennächte wie in der Wiener Innenstadt in diesem Jahr (40, durchschnittlich sind es dort 16).
  • Das Flächenmittel der österreichischen Temperaturen war diesen Sommer das fünfthöchste seit Beginn der Messgeschichte; 246 der letzten 250 Sommer waren kälter! Die nächstwärmeren Sommer lagen übrigens alle in diesem noch jungen Jahrhundert, drei der vier sogar in diesem Jahrzehnt.
  • Der August war in Wien 3,1°C wärmer als im Mittel der Jahre 1981-2010.
  • Österreichweit gab es noch nie so viele Sommertage in einem Jahr wie heuer an den ZAMG-Stationen Andau und Wolkersdorf (...)

Ebenfalls bemerkenswert, wenn auch nicht in den letzten beiden Monaten passiert: Noch nie gab es in Wien einen so kurzen Abstand zwischen dem letzten Eistag (Tmax<0°C am 19.März) und dem ersten Sommertag (Tmax>25°C am 9.April) wie dieses Jahr. Anmerkung: Ich schreibe hier viel von Wien, da dort die notwendigen langjährigen Aufzeichnungen vorhanden sind, und weil aufgrund der räumlichen Nähe ein starker Bezug zum Weinviertel existiert - abgesehen von den Tropennächten, hier bleibt uns mangels vergleichbar großflächiger, dichter Bebauung einiges erspart. Die Daten hat Manuel Kelemen allesamt von der ZAMG erhalten, der höchsten Instanz wenn es um die Vermessung des österreichischen Wetters geht.

Zurück zur NÖN, die durch diese Rekorde unberührt und also cool blieb. Zum Artikelende hin wird in Bezug auf die Trockenheit (!) - der Artikel erschien vor dem letzten Wochenende - die Frage aufgeworfen: "Lässt sich an diesen Entwicklungen bereits ein Klimawandel ablesen?" Auch wenn diese Frage in unterschiedlichen Spielarten, meist bezugnehmend auf die Temperatur, häufig gestellt wird, ist sie ein Widerspruch in sich. Dazu muss man sich die Definition des Begriffs Klima vor Augen führen - eine sehr schlüssige und in ihrer Kürze bestechende Definition lautet, dass Klima die Statistik des Wetters ist. Und für eine gute Statistik benötigt man möglichst große Datensätze, vor allem um etwaige Änderungen beurteilen zu können. Ein einzelnes Ereignis wie dieser Sommer, isoliert betrachtet, macht keinen Klimawandel, und ist diesem unmöglich zuzuordnen. Ein gehäuftes Auftreten von zu warmen Sommern, über 10 Jahre und mehr - das ist der Klimawandel. Und genau das sehen wir in den letzten Jahrzehnten auch, mit nur kurzen Unterbrechungen jagt ein viel zu warmer Sommer den nächsten, im langjährigen Schnitt steigen die Temperaturen. Leider liegt es nicht in der Natur des Menschen, derartige längerfristige Änderungen genau wahrzunehmen und einzuordnen, man mag sie (verständlicherweise) lieber an dem festmachen, was man unmittelbar spürt. Doch die Unterscheidung ist wichtig: Wer Einzelereignisse dem Klimawandel zuschreibt, macht sich angreifbar dafür, dass einzelne Ausreißer nach unten wie der zu kalte Februar in diesem Jahr genauso als Pseudoargument zur vermeintlichen Widerlegung des Klimawandels herangezogen werden.

Zum Schluss wird in der NÖN nachgelegt: " (...) Hobbymeteorologe Gartner: 'Nach meiner Ansicht sind wir Menschen seit Anbeginn in einem Klimawandel. Aber in einem oder zwei Menschenleben können wir außergewöhnliche Wetterereignisse nicht einem Klimawandel zuordnen, denn ein Klimawandel erstreckt sich über viele tausend Jahre.' Die Zukunft des Klimas ist somit ungewiss: 'Es wird immer wieder Trockenheit und Hitzeperioden geben, aber ich denke, dass sich diese Ereignisse, sowie auch Kälteperioden die Waage halten werden'."

Aussagekräftige Klimadaten erhält man zwar nicht anhand von Einzelereignissen, aber ab einem Zeitraum von etwa zehn Jahren, die Klimanormalperiode von der WMO ist mit 30 Jahren definiert. Das wären relativ kurze Menschenleben. Die Besonderheit am derzeitigen anthropogenen Klimawandel, verglichen mit dem tatsächlich sehr gewöhnlichen Auf und Ab in der Klimageschichte der Erde, ist eben der rasante Wandel. Die Durchschnittstemperatur im Alpenraum hat seit 1900 um etwa 1°C zugenommen, besonders stark in den letzten vier Jahrzehnten. Das ist keine Vorhersage - sondern mit langjährigen Daten untermauerte Realität, erhoben z.B. im HISTALP-Projekt der ZAMG. 1°C in etwas mehr als 100 Jahren! Klingt nicht nach viel, aber das ist ein Präzedenzfall in der Geschichte der Menschheit, nicht einmal Beginn und Ende der letzten Eiszeiten haben derart rapide Temperaturänderungen gebracht. Insbesondere die letzten 10.000 Jahre waren eine Phase erstaunlich konstanter globaler Temperaturen, und wie es aussieht, setzen wir dieser Phase nun gerade selbst ein Ende. Anders als der Artikel suggeriert, können wir durchaus einen Blick in die Klimazukunft werfen. Unser Vehikel dafür sind Klimamodelle - genauer: Earth System Models, die mittlerweile sehr gut, wenn auch angesichts des komplexen Systems Erde nicht perfekt sind. Es gibt mehrere, von unterschiedlichen Forschungszentren auf der Welt entwickelte Modelle, und alle kommen zu dem Schluss, dass es laufend wärmer werden wird, wenn der Treibhausgasausstoß in gleichem Maße fortläuft. Verifiziert werden diese Modelle übrigens, indem man sie von einem Punkt in der Vergangenheit, sagen wir vom Jahr 1950 weg, bis in die Gegenwart laufen lässt. Und siehe da, die Modelle eignen sich gut, um den tatsächlich beobachteten Verlauf des Klimas in diesem Zeitraum nachzubilden, sodass kein großer Zweifel besteht, dass sie auch in der Lage sind, das zukünftige Klima zu modellieren. Die wichtigsten Faktoren dafür sind nämlich bekannt, etwa die natürlichen Schwankungen der solaren Einstrahlung, Feedbackmechanismen und so weiter - ein wesentlicher Punkt ist aber unklar: Wie viel Treibhausgase die Menschheit in Zukunft ausstößt. Daher werden unterschiedliche Szenarien gerechnet, von einem "business as usual" mit weiter steigenden Emissionen, über eine moderate Abkehr von fossilen Brennstoffen bis hin zu einem abrupten Ende der Emissionen.

Die Modelle zeigen, dass es aufgrund der hohen Verweildauer von CO2 in der Atmosphäre bis Mitte dieses Jahrhunderts sogar dann wärmer würde, wenn wir instantan alle Verbrennungsprozesse einstellen und kein CO2 mehr in die Atmosphäre entlassen, erst ab 2050 würde wieder eine Normalisierung einsetzen.

Warum in der Öffentlichkeit, hier am Beispiel der NÖN, dennoch der Eindruck verbreitet wird, es wäre alles halbwegs in Ordnung und die Wissenschaft uneins über den Klimawandel und den menschlichen Einfluss darauf? Als Meteorologe kann ich das nicht beantworten, aber es macht mich traurig angesichts der massiven Änderungen, vor denen wir in den nächsten Jahrzehnten stehen, und der scheinbaren Unfähigkeit, wirksame Maßnahmen dagegen zu setzen.