Wolkersdorf im Weinviertel

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Blog | Die neue Wolkersdorfer TAWES auf der Zielgerade

28.04.2024 11:20

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Die neue Wolkersdorfer TAWES auf der Zielgerade

17.06.2023 16:50

Kommende Woche nimmt die Übersiedlung der amtlichen Wolkersdorfer Wetterstation ihren finalen Schritt: Der neue Standort der TAWES – so die technische Abkürzung für das aktuell genutzte staatliche Wetterstationssystem – beginnt den Vollbetrieb und löst damit die seit 2008 am Wirtschaftshof platzierte Wetterstation ab. Damit das geklärt ist: Die Buchstabensammlung TAWES steht für Teilautomatisches Wettererfassungssystem.

Dem vorausgegangen ist ein langer Prozess, der ab 2015 mit der Beobachtung begann, dass sich die amtlichen Messwerte vom Wirtschaftshof bei bestimmten Wetterlagen stark von den Werten meiner privaten Wetterstation unterscheiden. Bald stellte sich die ungünstige Platzierung der nunmehr alten TAWES als die Ursache heraus, in direkter Nähe zu einem Parkplatz und mehreren Gebäuden.

Wie zuletzt erwähnt, befindet sich der neue „Wettergarten“ mit Temperatur-, Luftfeuchte- und Niederschlagsmessung nun im Brunnenschutzgebiet am Alten Markt. Alle Messgrößen rund um Wind, Sonneneinstrahlung und Luftdruck werden hingegen am Dach eines Hotels am Julius Bittner-Platz erhoben. Ebenjene Sensoren wurden am gestrigen Freitag in Betrieb genommen, während am neuen Wettergarten schon seit mehreren Monaten Aufzeichnungen laufen und erste Vergleiche zwischen neuem und altem TAWES-Standort die erheblichen Temperaturabweichungen bestätigen, wie ich im Folgenden kurz illustrieren mag.

Bleiben Sie kurz dran für einen etwas technischeren Abschnitt – es zahlt sich vermutlich aus. Ich habe die Temperaturunterschiede zwischen neuer und alter TAWES für den Zeitraum von Anfang März bis Ende Mai bereits unter die Lupe nehmen können. Ich hätte auch die Daten meiner Station heranziehen können, aber wenn man schon den Luxus zweier TAWES im Parallelbetrieb in Wolkersdorf genießt, dann wollte ich doch die Daten dieser professionellen Sensorik vergleichen.

Zunächst wollte ich feststellen, ob in windigen Nächten eine systematische Temperaturabweichung zwischen den TAWES-Standorten besteht. Die Hypothese hierzu: In solchen Nächten sind die räumlichen Temperaturunterschiede üblicherweise sehr gering. Sind die Stationen also korrekt kalibriert (wovon angesichts der umfassenden, mehrfachen Überprüfungen der teuren Sensorik auszugehen ist), sollte keine signifikante Abweichung auftreten. Und tatsächlich: Der Temperaturmittelwert unterscheidet sich um lediglich 0,01°C, und der „Root Mean Square Error“, ein Fehlermaß für die durchschnittliche Abweichung, beläuft sich auf geringe 0,18°C. In der folgenden Abbildung sind die Werte beider Stationen in diesen windigen Nächten gegeneinander als blaue Punkte aufgetragen sowie zwei Linien eingezeichnet: Die strichlierte schwarze Linie ist die 45°-Linie; liegt ein Datenpunkt genau auf dieser Linie, dann ist die Temperatur an beiden Standorten exakt gleich. Liegt der Datenpunkt darüber, war die alte TAWES wärmer; und genau umgekehrt, wenn der Punkt darunter liegt. Die rote Linie ist eine zusätzliche lineare Regressionskurve, die im Idealfall auch mit der schwarz strichlierten Linie übereinstimmt, und anzeigen würde, wenn die Abweichung z.B. bei höherer Temperatur größer wäre als bei niedriger Temperatur. Die Grafik belegt visuell das oben Geschriebene, nämlich dass die Abweichungen im Allgemeinen gering sind und fast alle Datenpunkte sehr nahe an der idealen 45°-Linie liegen.

ANALYSE1

Nachdem die alte TAWES an Tagen mit starker Sonneneinstrahlung und schwachem bis mäßigem Nordwestwind meiner Beobachtung nach die größte Abweichung nach oben zeigte, habe ich die Analyse daraufhin genau auf solche Bedingungen zurechtgeschnitten: Mit Zeitpunkten von hoher Einstrahlung (die an den TAWES im Gegensatz zu meiner Station genau erfasst wird) und Windrichtungen von West über Nordwest bis Nord. Das Bild ist ein gänzlich anderes als zuvor:

ANALYSE2

Die Datenpunkte liegen mit nur wenigen Ausnahmen weit über der schwarz-strichlierten Linie, die alte TAWES hat im Durchschnitt eine 1,14°C höhere Temperatur als die TAWES am neuen Standort. Das mag nach gar nicht so viel klingen, sind in der Meteorologie aber Welten – zumal es sich hierbei um einen Mittelwert handelt. Im Einzelfall sind Abweichungen über 2°C aufgetreten. Es sind diese Lagen, die Wolkersdorf immer wieder als heißesten Ort Österreichs in Radio und Fernsehen gebracht haben. Wie sich dank des neuen Standorts zweifelsfrei herausstellt, in den allermeisten Fällen vollkommen zu Unrecht.

Dröselt man die Analyse nach hoher Einstrahlung bei anderen Windrichtungen auf, zeigt sich weiterhin, dass die alte TAWES höhere Temperaturen gemessen hat als die neue TAWES, aber die Abweichung sinkt bei allen anderen Windrichtungen im Vergleich zum Nordwestwind. Es erscheint also klar, dass nur bei Nordwestwind ein so stark ausgeprägtes wärmeres Mikroklima am alten Standort auftritt. Bei Betrachtung einer Satellitenaufnahme des alten Standorts ist ersichtlich, dass sich nur wenige Meter nordwestlich der Station ein Gebäude befindet, das eine nach Südosten ausgerichtete, dunkle Dachschräge aufweist. Die zusätzliche thermische Abstrahlung in Richtung der Station könnte bereits der Hauptfaktor für die Abweichungen darstellen. Denkbar ist aber auch, dass sich im Lee des Gebäudes ein Luftwirbel ausbildet, der die lokal erhitzte Luft besonders effektiv am Stationsstandort zirkulieren lässt. Dass sich auf einem benachbarten Firmenareal ebenfalls in Richtung Nordwesten ein großer asphaltierter Parkplatz befindet, ist das i-Tüpfelchen für diesen nicht repräsentativen Standort.

SAT1

Quelle: Google Maps

Der Schwenk zum Umgebungsbild des neuen Standorts ist wie der Wechsel von der Nacht zum Tage. Das Brunnenschutzgebiet - das liegt in der Natur der Sache - ist von viel Grün umgeben, lediglich nordöstlich des Wettergartens befindet sich ein Gebäude mit einigen PV-Paneelen am Dach. Nordost ist in unserer Gegend die mit Abstand seltenste Windrichtung, somit sollte sich der Einfluss auf die Temperatur selbst im ungünstigsten Falle in Grenzen halten.

SAT2

Quelle: Google Maps

Wie gut, dass die letzten Stunden des alten TAWES-Standorts nun bald gezählt sind, wenn kommende Woche der Schalter umgelegt wird und auf der Hohen Warte in Wien die Messungen des neuen Standorts in die operationellen Datenbanken fließen. Zum Abschluss gibt es passenderweise noch die Strömungslage, bei der die alte TAWES in Wolkersdorf die größten Ausreißer nach oben verzeichnet: West- bis Nordwestwind und dazu volle Einstrahlung. Natürlich lag Wolkersdorf deswegen gestern und auch heute schon im österreichweiten ZAMG-Wetterstationsvergleich ganz vorne dabei.

Bis die neue Station wie angekündigt auch auf wetter-wolkersdorf.at voll eingebunden ist, wird es wohl noch ein paar Wochen dauern – die Verarbeitung minütlicher Werte einer professionellen, aber nicht unbedingt nutzerfreundlichen Sensorik ist eine etwas größere Herausforderung als das Plug’n’Play einer herkömmlichen Wetterstation für den Privatgebrauch.

IMAGE1

Zum Abschluss kommen wir von der Satellitenansicht auf den Boden der Realität. Hier der neue Wettergarten mit ungewöhnlich saftiger Wiese kurz vor der Mahd. Im Vordergrund links der Niederschlagsmesser (Auflösung 0,1 mm) inklusive Niederschlagsmelder (ja/nein). Rechts dahinter die markante, ca. 24 Stunden am Tag mit Ventilator belüftete Wetterhütte und der Schaltkasten. Nicht im Bilde weil versteckt am Fuße der Wetterhütte: Der 5 cm-Temperatursensor und die Bodentemperatursensoren in mehrereren Tiefen.

IMAGE2

Standortwechsel an den Julius Bittner-Platz zu den Wind- und Strahlungssensoren. Links das Ultraschallanemometer, das anhand von Variationen der Schallgeschwindigkeit hochpräzise die Windgeschwindigkeit und -richtung erfasst. Im Gegensatz zu herkömmlichen Schalenkreuzanemometern misst dieses Gerät auch niedrige Windgeschwindigkeiten ohne Anlaufprobleme. Mit einem Listenpreis von derzeit 1900€ ist dieser Sensor alleine schon teurer als eine komplette Hobby-Wetterstation und zeigt dass das Betreiben eines professionellen österreichweiten Messnetzes kein günstiges Unterfangen ist. Rechts daneben das Pyranometer zur Messung der Globalstrahlung und ein Sonnenscheinsensor zur Bestimmung der Sonnenscheindauer.

IMAGE3

Alt und neu: Im Hintergrund der alte Windmast von wetter-wolkersdorf.at, im Vordergrund rechts die massive Konstruktion um den neuen Windmesser gegen die auch in Wolkersdorf omnipräsente Schwerkraft abzusichern.