Wolkersdorf im Weinviertel

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Blog | Nachbetrachtungen eines Extremereignisses Teil 1

12.10.2024 11:35

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Nachbetrachtungen eines Extremereignisses Teil 1

19.09.2024 17:25

Die Pegelstände gehen langsam zurück, wir sammeln wieder Sonnenstunden statt Regentropfen, und es wird Zeit für eine kleine Nachbetrachtung dieses bisherige Maße sprengenden Regenereignisses vom Wochenende. Das würde ich gerne in zwei Teilen angehen, und zwar heute mit einer trockenen Rückschau auf die tatsächlich gefallenen Niederschlagsmengen, und demnächst mit einer Extremwertstatistik, um die erwartbare Jährlichkeit eines solchen Niederschlagsereignisses abzuschätzen.

Wie im letzten Beitrag erwähnt, gehe ich von einer Unterschätzung der tatsächlichen Niederschlagsmengen an meiner Station aus. Hierzu ein Vergleich mit Niederschlagsmessungen aus der direkten Umgebung: Einerseits zur TAWES Wolkersdorf, betrieben von der GeoSphere Austria (ehemals ZAMG), und am Alten Markt taktisch nahe dem Epizentrum des Wolkersdorfer Hochwassergeschehens der vergangenen Tage platziert. Dann die Messung des hydrografischen Dienstes beim Klärwerk in Ulrichskirchen, ebenso mittendrin statt nur dabei. Und schließlich weitere private Stationen in Wolkersdorf, die auf dem Stationsnetzwerk wunderground zu finden sind (danke an dieser Stelle den anonymen BetreiberInnen, und liebe Grüße sollte jemand seine eigenen Messwerte erspähen).

JUL TAW HYD FEL* WIN* KIR* JOH* TRA*
12.09. 13,2 13,3 - 13,7 12,7 13,7 12,0 12,7
13.09. 58,4 62,5 - 64,8 56,2 57,9 55,6 60,0
14.09. 69,8 78,6 - 80,3 70,6 71,4 64,0 74,6
15.09. 57,4 68,5 - 67,8 64,2 65,8 54,8 66,6
16.09. 20,2 21,8 - 24,1 26,5 26,7 23,4 23,4
SUM 219 244,7 231,7 250,7 230,2 235,5 209,8 237,3

*Stationsdaten von wunderground.com; Kürzel nach dem Namen der Straße, in dem sich die Station befindet

Klar ersichtlich ist, dass ich am Julius-Bittner-Platz (Spalte "JUL") vergleichsweise niedrige Summen gemessen habe, wobei die Abweichung zur TAWES (TAW) am ersten Tag des Ereignisses minimal ist, und zum Sonntag hin auf stattliche 19% anwächst. Über die Ursachen bin ich mir nicht völlig im Klaren, denn im Normalfall beläuft sich die Abweichung zur TAWES auf unter 5% - ein Zusammenhang mit dem Wind wäre aber plausibel, nachdem sich die Abweichung bei abnehmender Windgeschwindigkeit am Montag wieder reduziert. Unabhängig von der Ursache: Der Überblick über alle Niederschlagswerte zeigt eine Unterschätzung von zumindest 10-15 mm, die ich in den nächsten Tagen korrigieren werde. Nachdem es sich um ein messtechnisch historisches Ereignis handelte, sollten die bestmöglichen Daten in der Datenbank archiviert werden, und das wollte ich im Sinne der Transparenz hier argumentieren.

Sehen wir uns auch noch einmal den gesamten Niederschlagsverlauf von 12. bis in die Abendstunden des 16.09. an, hier anhand der über jeden messtechnischen Zweifel erhabenen Werte der TAWES Wolkersdorf:

TAWES

Die Arbeiten, diese Werte zur Standardanzeige auf wetter-wolkersdorf zu machen, dauern übrigens immer noch an. Es ist, kurz gesagt, ein größeres Projekt, das ich hoffentlich bis zum Jahresende zum Abschluss bringen kann.

Gehen wir also fortan von den Messungen der TAWES aus: Auch unter Einbeziehung historischer Messungen wurden in Wolkersdorf bislang noch nie 244,7 mm binnen fünf Tagen gemessen (nicht einmal 219 mm). Der Rekord für den größten Monatsniederschlag (!) liegt bei 275 mm aus dem August 1938, die TAWES Wolkersdorf hält für diesen September aktuell bei 272,2 mm. Der Rekord für den größten Tagesniederschlag wurde jedoch diesmal nicht erreicht. Ich habe das letzte Mal von der Messreihe des hydrografischen Dienstes berichtet – aus dieser stammt auch der im vorletzten Satz genannte Monatswert aus dem August 1938. Dank eines aufmerksamen Lesers bin ich auf die Jahrbücher des hydrografischen Zentralbüros gestoßen, die auf der Seite des Umweltbundesamts online archiviert sind. Dort sind feinsäuberlich hydrografische Statistiken einer Vielzahl von Stationen gelistet, auch jener in Wolkersdorf. Dadurch erfährt man beispielsweise mehr über die Stationsbetreiber: Während das in den ersten Jahren nach Messbeginn im Jahr 1895 ein gewisser „Franz Weitek (Oberlehrer)“ war, ging diese Funktion in späteren Jahren an Leopold Schreiber vom Kaufhaus Schreiber in der Wolkersdorfer Hauptstraße über. Zuletzt war das Traunsche Forstamt der Ort der täglichen Messungen. Ein herzliches Danke an dieser Stelle an Erich Dunkel für die Recherche.

Die hydrografische Messreihe reicht auch weiter in die Gegenwart als vermutet: Die Spur verliert sich erst im Jahr 2000, als eine Vielzahl an Messstellen im Marchfeld und dem südlichen Weinviertel eingestellt wird. Das bedeutet, dass zwei sehr interessante Ereignisse aus den 1990ern auch noch in den Archiven ruhen: Einerseits das im letzten Blogpost erwähnte Vb-„Kirtags“tief aus dem Jahr 1997. Dieses brachte in Wolkersdorf laut dem Jahrbuch 1997 einen maximalen Tagesniederschlag von 41 mm, bei einem Gesamtmonatsniederschlag von 207 mm, war also nicht nur an der Hohen Warte in Wien, sondern auch in Wolkersdorf deutlich harmloser als das aktuelle Ereignis. Und andererseits ein Extremereignis aus dem Jahr 1994, nämlich das Unwetter vom 19. Juli. Damals standen viele tiefergelegenen Ortsteile von Wolkersdorf und Obersdorf unter Wasser – ich war schon vor Jahren einmal auf der Suche nach Messungen von diesem Gewitter. Nun habe ich sie erstmals gefunden: 116 mm wurden damals an nur einem Tag aufgezeichnet, und sicherlich fielen sie sogar in noch deutlich kürzerer Zeit. Der Tagesrekord wurde diesmal also recht weit verfehlt, der maximale 24h-Wert wäre aber überboten: 128,5 mm sind es im Zeitfenster von 14.09. 12:50 bis 15.09. 12:40 an der TAWES gewesen.

Zuletzt noch ein flächiger Überblick anhand des von der GeoSphere Austria betriebenen Analysetools INCA, einer Kombination aus Radar- und Stationsmessungen.

INCA

Der Niederschlagsschwerpunkt deckt sich mit dem niederösterreichischen Alpenvorland, dem Wienerwald und dem Tullnerfeld. Das Weinviertel lag zwar nur am Randbereich, flächendeckender Regen > 175 mm waren aber natürlich auch hier ausreichend, um die Abflüsse überzustrapazieren. Bei Wolkersdorf überschritt der Rußbach Sonntagabend die Schwelle eines 30-jährlichen Hochwassers und verblieb bis Montagvormittag darüber. Auch der Grundwasserspiegel reagierte stark, bei der Messstelle in Pillichsdorf stieg der Spiegel im Zuge des Ereignisses um rund einen Meter an.