Wolkersdorf im Weinviertel

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Blog | Hochwasser in Niederösterreich

12.10.2024 12:25

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Hochwasser in Niederösterreich

15.09.2024 21:40

Die unheilvolle Wetterlage nimmt ihren Ausgang in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag, als der erste kräftige Kaltluftvorstoß des Herbstes eine Tiefdruckentwicklung im Golf von Genua induzierte. Die Höhenströmung führte das Tiefdruckgebiet auf einer Bahn über den Apennin und die Adria zunächst in Richtung Kroatien, und danach nach Nord drehend über Ungarn und Slowakei. Wie kaum eine andere Wetterlage hat sich im kollektiven ostösterreichischen Bewusstsein der auf eine Publikation im späten 19. Jahrhundert zurückgehende Fachterminus „Vb-Zugbahn“ eingebrannt, der diesen Tiefdruck-Reiseverlauf kategorisiert (die zahlreichen anderen Zugbahnkategorien aus derselben Publikation befinden sich hingegen längst unterhalb der Wahrnehmungsschwelle). Die Situation an diesem Wochenende besonders machte aber eine Abweichung von diesem bekannten Muster: Während die Vb-Zugbahn Tiefdruckgebiete weiter in Richtung Norden abziehen lässt, lag diesmal ein abgeschlossenes Höhentief über Mitteleuropa, das die Niederschläge im Kreisbogen wieder und wieder nach Ostösterreich führte. Während der Regen am Freitag also zunächst aus Südosten aufzog - so wie es sich für ein Vb-Tief gehört - drehte die Strömung am Samstag zurück und führte die aufsteigenden Luftmassen aus dem Tiefdruckgebiet schließlich aus Nordosten heran. Beeindruckend zu sehen ist das auf dem Radarloop des tschechischen hydrometeorologischen Dienstes (https://x.com/pesvklobouku/status/1834988552800575622); Österreich schafft es leider noch nicht die eigenen erhobenen Radardaten als Open Data zur Verfügung zu stellen, auch wenn diese Information für die Öffentlichkeit von hohem Interesse wäre.

Neben der Großwetterlage gibt es auch eine zweite Seite der Medaille, die Thermodynamik. Der August 2024 war in Österreich und auch im Mittelmeerraum der wärmste August der Messgeschichte. Nach Meldungen über Rekordmeerestemperaturen im Mittelmeer stand zu befürchten, dass sich bei geeigneter Wetterlage die in Form von hoher Temperatur und hohem Wasserdampfgehalt zur Verfügung stehende Energie entladen würde. Slowenien, Ostösterreich, Tschechien und Polen haben nun diese Karte gezogen. Die Forschung liefert keine Hinweise darauf, dass der Klimawandel die erste Seite der Medaille, also die eingangs erwähnte großräumige Wetterdynamik, solcherart beeinflusst, dass diese Wetterlagen zukünftig häufiger auftreten. Eher sogar im Gegenteil, manche Beobachtungs- und Modellstudien gehen von einem leichten Rückgang der Häufigkeit von Vb-Tiefs aus. Die andere Seite der Medaille aber, die Thermodynamik, verändert sich grundlegend. Pro 1°C Temperaturerhöhung erhöht sich der Sättigungsdampfdruck von Wasserdampf um ca. 7%, was das Potenzial für Extremniederschläge erhöht. Auch hierzu gibt es Beobachtungsstudien, die darauf hindeuten, dass die 7% eher die untere Schranke darstellen. Falls Sie sich nun fragen: Dieses Wochenende war doch eh so kalt, das kann unmöglich eine Rolle gespielt haben – ja, es war kalt, aber nur bodennah. Die hochreichend gesättigte Luftsäule über unseren Köpfen war ab einer Höhe von 2 km recht mild, nur bodennah ist aus Nordwesten Kaltluft eingeflossen (mit beeindruckender Geschwindigkeit, die Sturmschäden haben die niederschlagsbedingten Schäden am Beginn des Wochenendes ja noch übertroffen). Zusammengefasst: Der Klimawandel macht Vb-artige Tiefdruckgebiete zwar möglicherweise etwas seltener, dafür aber heftiger wenn sie doch auftreten.

Aus meiner Perspektive sei an dieser Stelle angemerkt, dass die Performance der Wettermodelle bei der Prognose dieses Extremereignisses beeindruckend war. Selten habe ich gesehen, dass ein Mittelmeertief quer über alle unterschiedlichen Wettermodelle und zeitlich konsistent so gut erfasst wurde. Das ist keine ex post aufgestellte Schutzbehauptung, sondern lässt sich in den archivierten Modellläufen der vergangenen Woche(n) leicht verifizieren. Erstmals tauchten Niederschlagsmengen von > 100 l/m² über Ostösterreich in den Wettermodellen vom 05.09. (!) auf, also mehr als eine Woche vor Beginn des Niederschlagsereignisses. Ab dem 07.09. blieben die zwei Mal täglich erstellten Mittelfristprognosen des ECMWF (European Centre for Medium-Range Weather Forecasts) bei dem Unwetterszenario für Niederösterreich, das sich im Zuge dieses Wochenendes realisieren sollte. Gut zu beobachten war zunächst die verständliche Zurückhaltung der für die Information der Öffentlichkeit zuständigen Meteorologen, denn instinktiv steht man solchen Modellrechnungen, die Extremniederschläge so weit im Voraus zeigen, erst einmal skeptisch gegenüber. Nicht erst einmal ist passiert, dass Wettermodelle mit Näherrücken des Ereignisses die Niederschlagsmengen plötzlich drastisch reduzierten – nicht so jedoch in diesem Fall. Wie in einem Brennglas haben sich aber auch die Defizite bei der „Übersetzung“ von Wettermodellen in für die Allgemeinheit verständliche Prognosen, Warnungen und Einordnungen deutlich gezeigt. Da wäre beispielsweise das derStandard-Interview mit einem Meteorologen der Geosphere Austria zu nennen, der aus lauter Freude über das Zurückweisen gängiger Theorien eine angeregte Diskussion in der Meteorologencommunity anstoßen konnte, wie die absurd hohe Temperaturanomalie des Mittelmeers eben doch zur Intensität dieses Ereignisses beigetragen hat (was über Fernerkundungsbilder von Satelliten und Modellierungen deutlich erkennbar ist, und auch Forschungsarbeiten über vergangene mitteleuropäische Hochwasserereignisse gezeigt haben). Oder natürlich der einer gepflegten Polemik nicht abgeneigte Jörg Kachelmann, der seine Finger in die Wunde inadäquater Kommunikation seitens des öffentlichen Rundfunks legte. Oder auch die fehlerhafterweise ausgerufene Schneewarnung der Geosphere für das östliche Flachland, die zwar auf ihrer eigenen Homepage schnell korrigiert war, aber bei Android-Handys noch 24 Stunden später angezeigt wurde.

Die Wettermodelle sind auch in den nächsten Stunden noch gefragt. Wir stehen leider noch nicht ganz am Ende dieser Wetterepisode. Bis Montagabend sind weitere 20-30 l/m² zu erwarten, die nach ein paar Niederschlagspausen dann morgen Vormittag und am Nachmittag fallen werden. Die Luft ist in der Höhe zusätzlich leicht labil geschichtet, der Niederschlag kann sich dadurch kleinräumig in Schauern verstärken. Ab Dienstag beruhigt sich das Wetter dafür dann spürbar.

Für eine umfassende Einordnung dieses Niederschlagsereignisses ist es noch zu früh, aber so viel vorweg: In der Messgeschichte des Weinviertels hat es so etwas bisher noch nicht gegeben. Die Wolkersdorfer TAWES hat von Freitag bis heute Sonntag 209,6 mm aufgezeichnet, seit Niederschlagsbeginn am Donnerstag sogar 222,9 mm. Meine Wetterstation mit 185,6 mm doch um einiges weniger, wofür wohl leider eine messtechnische Einschränkung aufgrund des starken Windes ursächlich ist – für Niederschlagsmessungen ist die neue TAWES nun deutlich besser als meine Station platziert, zumindest sofern erstere nicht vom Rußbach überflutet wird. Zurück zur Einordnung. Selbst an der Hohen Warte in Wien, wo tägliche Niederschlagsmessungen immerhin seit 1855 vorliegen, war die höchste Dreitagesniederschlagssumme bisher 167 mm, erreicht von 25.10. bis 27.10.1930. Übrigens im Zuge einer höchst ähnlichen Wetterlage, mit Höhentief, das die Niederschläge eines ursprünglichen Vb-Tiefs wiederholt an den Osten Österreichs heranführte. LeserInnen dieses Blogs werden sich nicht erinnern. Auf dem ehemaligen Platz 2, nun auf 3 verdrängt, ein deutlich rezenteres Ereignis, das BesucherInnen des Wolkersdorfer Kirtags im Jahr 1997 tatsächlich erinnerlich sein könnte. Damals regnete es zwischen 5. und 7. Juli immerhin 162,6 mm an der Hohen Warte.

Unlängst durfte ich in den Archiven der Geosphere Austria auch einen höchst spannenden Datensatz mit hydrologischen Messungen aus Wolkersdorf ausgraben, wo tägliche Niederschlagsmessungen von 1896 bis 1988 vorliegen – ich wollte diesen kleinen Schatz zwar in einem speziellen Blogpost präsentieren, aber dieses Wochenende zwingt mich dazu, doch schon jetzt zumindest teilweise damit herauszurücken. Die höchste Dreitagesniederschlagssumme an dieser Station wurde mit 131,5 mm auch genau an jenen Oktobertagen im Jahre 1930 verzeichnet, an denen in Wien 167 mm gemessen wurden.

Welche Datengrundlage man auch heranzieht: An den Niederschlag der vergangenen drei Tage kommt keine bisherige Messung heran, und ich hätte es persönlich auch nicht für möglich gehalten, dass in Wolkersdorf binnen dreier Tage mehr als 200 l/m² zusammenkommen können. Mit den Waffen der Extremwertstatistik wird sich erweisen, von welcher Jährlichkeit bei so einem Ereignis auszugehen ist. Meine Vermutung: deutlich mehr als 100-jährlich.

Ps: Sollten Sie mehr über die Durchführung der historischen hydrologischen Messungen in Wolkersdorf wissen (z.B. den genauen Ort), wäre ich über Infos an meine auf dieser Seite verlinkte Mailadresse dankbar.