Purzelnde Rekorde im meteorologischen Jahresrückblick
27.12.2020 14:56
2020 hat tiefe Spuren hinterlassen. Ein Jahr, das in die Zeitgeschichte eingeht; und auch ganz klar, warum: Es gibt einen neuen Jahresniederschlagsrekord für wetter-wolkersdorf! Mit Stand 27.12. sind es 681,8 Liter pro Quadratmeter – ein wenig wird bis Jahresende sogar noch dazukommen – und damit mehr als in jedem einzelnen der vergangenen zehn Jahre, seitdem also meine Wetterstation Daten aufzeichnet. Einem netten Kontakt mit der Traunschen Forstverwaltung verdanke ich es, seit kurzem auch über eine zweite, deutlich längere Niederschlagszeitreihe für Wolkersdorf zu verfügen, mehr dazu in einem weiteren Beitrag in Bälde. Diese Zeitreihe erlaubt jedenfalls den Schluss, dass die heurige Regenmenge zumindest auf Augenhöhe mit den höchsten Wolkersdorfer Jahresniederschlägen der letzten 50 Jahre liegt, also auf ähnlichem Niveau wie 2009, 2002, 1995 und 1985. Besonders erstaunlich ist dies, weil es in diesem Jahr einige Zeit lang eher nach einem Negativrekord aussah – und damit mag ich den Rückblick auf das Wetterjahr 2020 einläuten.
Die nackten Zahlen zu den wichtigsten Parametern: Mit einer Durchschnittstemperatur von rund 11,2°C wird 2020 in Wolkersdorf zwar nicht so absurd warm gewesen sein wie die Jahre 2018 und 2019; die in unserer Gegend zwischen 1981-2010 übliche Jahresmitteltemperatur von rund 10°C (vergleiche die ZAMG-Klimadaten von Groß-Enzersdorf mit 10,3°C; Poysdorf 9,5°C) wurde aber deutlich übertroffen, am Rande bemerkt zum siebten Mal in Folge und zum neunten Mal in zehn Jahren. Der Niederschlag wird sich am Jahresende rund um 685, vielleicht sogar bei 690 Liter pro Quadratmeter bewegen und somit wie erwähnt auf sehr hohem Niveau liegen. Fast der gesamte Niederschlag fiel als Regen, sehr kurze Schneeepisoden mit geringen Schneehöhen gab es nur Mitte und Ende Jänner sowie Anfang Dezember. Nach keinem dieser Schneefallereignisse konnte sich eine Schneedecke länger als 48 Stunden halten. Die über das Jahr gemittelte Windgeschwindigkeit ist leicht unterdurchschnittlich, allerdings fällt darunter mit dem heurigen Februar der Monat mit der höchsten Durchschnittswindgeschwindigkeit seit Beginn meiner Messungen.
Nachdem das Jahr mit einer Vielzahl an Hochdrucklagen – sogar ein neuer wetter-wolkersdorf-Rekord für den absolut höchsten Lufdruck wurde aufgestellt – im Jänner ruhig begann, begann die Westwinddrift im Februar in lang nicht gesehener Intensität Fahrt aufzunehmen. Unzählige rasch vom Nordatlantik her durchziehende Tiefdruckgebiete brachten nicht nur leicht überdurchschnittlichen Niederschlag, sondern vor allem höchst ungewöhnliche Wärme und einige Starkwindereignisse mit sich, z.B. mit 93 km/h am 4. Februar. Durchschnittlich 5,9°C waren ein neuer Februarrekord und sind mehr als 4°C wärmer als übliche Februarmittelwerte – selbst für den Monat März wäre diese Temperatur noch leicht überdurchschnittlich gewesen. Es überrascht nicht, dass dies im österreichischen Flächenmittel der zweitwärmste Februar seit Beginn der Messungen gewesen ist, übertroffen nur vom Februar 1966. Im März selbst beruhigte sich (zumindest) das Wetter wieder und eine außergewöhnlich lange Hochdruckphase hielt Einzug. Diese wurde nur kurz, aber spektakulär durch Kaltluftvorstöße Ende März unterbrochen, die in Kombination mit den direkt nachfolgenden Hochdrucklagen für tiefe Nachttemperaturen sorgten; die -6,2°C vom 2. April waren sogar ein neuer Aprilrekord. Kurz darauf wurde auch der Rekord für den höchsten Tagesgang, also die größte Spanne zwischen Minimum- und Maximumtemperatur an einem Tag gebrochen: Am 9. April lag der Tiefstwert bei -0,7°C und der Höchstwert bei 23,7°C. Mit jahreszeitlich zunehmender Strahlungsintensität und kürzerer Nachtdauer waren Frostnächte nach Mitte April aber zumindest im Wolkersdorfer Ortsgebiet nicht mehr dabei. Rekordverdächtig war auch das Niederschlagsdefizit in dieser für die Landwirtschaft so wichtigen Phase, im gesamten April fielen beispielsweise nur 6,8 Liter pro Quadratmeter an Niederschlag. Erst Mitte Mai brachte ein Oberitalientief, das folgend die berühmtberüchtigte Vb-Zugbahn einschlug, zaghafte Linderung, schon eine Woche folgte im Zuge einer ähnlichen Wetterlage die zweite Linderung. In der dann anbrechenden konvektiven Saison wurde das Niederschlagsdefizit des Frühjahrs überkompensiert, wozu nicht nur der unbeständige Juni, sondern vor allem zwei späte Gewitterereignisse in kurzer Abfolge am 18. und 22. August beitrugen, bei denen zusammen 78 Liter pro Quadratmeter akkumuliert wurden. Das sind deutlich mehr als 10% des Gesamtjahresniederschlags, ohne die es nicht zum Niederschlagsrekord gereicht hätte. Gleichzeitig waren die Sommermonate nicht von jenen extremen Hitzewellen geprägt, die in den vergangenen Jahren zu überstehen waren, etwa im Juni 2019 oder August 2018. Während sich Juni und Juli annähernd im Schnitt von 1981-2010 befanden, war der August bereits wieder um mehr als 1°C wärmer, wodurch auch der Sommer insgesamt leicht wärmer als der langjährige Schnitt bilanzierte – nach den vorangegangenen Sommern fühlte sich das für viele freilich ganz anders an. Im Herbst setzte sich das Niederschlagsüberangebot durch mehrere Oberitalientiefs mit günstiger Zugbahn östlich des Alpenbogens fort, zu nennen sind 01.09., 25.09. sowie wunderbar ausgeprägt 11./12./13./14.10., als es tagelang mit nur wenigen Pausen regnete. Die Rückkehr zu hochdruckdominierten Lagen erfolgte – nicht untypisch – im November, und damit hielt auch der Nebel Einzug in Mitteleuropa. Anfang Dezember folgten kurze Kaltluftvorstöße nach West- und Mitteleuropa, die in Wolkersdorf zumindest kurzzeitig etwas Schnee brachten, bevor mit Süd-dominierten Wetterlagen höhenmilde Luftmassen zurückkehrten, die in den Niederungen vor allem in Dauernebel ausarteten.
Die letzten Tage des Jahres verbringen wir nun in pseudo-winterlichen Bedingungen mit südwestlicher Höhenströmung und reger Tiefdrucktätigkeit sowohl in Richtung Westen als auch an der Alpensüdseite, wo wieder einige Zentimeter Neuschnee dazukommen werden. Bei uns reicht es vorerst für lebhaften Südostwind und am Montagabend etwas Regen, ab Dienstag sickern dann allmählich wieder etwas kühlere Luftmassen ein. Ein Wintereinbruch, der diesen Namen auch im Flachland verdient, ist vorerst aber nicht absehbar.