Wolkersdorf sucht den Hitzepol
25.07.2022 22:50
Im Sog der medialen Hitze-Omnipräsenz darf auch wetter-wolkersdorf nicht ganz hintanstehen, mit einem Beitrag rechtzeitig zum Ende der Hitzewelle. Aus persönlichem Ärger über die regionale Oberflächengestaltung habe ich mir eine Infrarotkamera ausgeborgt und bin an einem der heißesten Tage des Jahres zu einer schweißtreibenden Radrunde durch Wolkersdorf aufgebrochen, mit einer Mission: Den heißesten Ort Wolkersdorfs aufzuspüren. Wenngleich die Methode strengen wissenschaftlichen Kriterien wohl nicht standhält, die Rahmenbedingungen für objektive Ergebnisse mussten natürlich schon stimmen: Basierend auf kurzer Satellitenbildrecherche habe ich vorab große, versiegelte Flächen in Wolkersdorf ausgesucht und habe sie innerhalb von ca. 45 Minuten mit der Infrarotkamera abgeklappert. Meist waren es unbegrünte Supermarktplätze, derer es in Wolkersdorf bekanntlich zahlreiche gibt. Die Fahrt fand in den sonnigen Nachmittagsstunden des 25.07.2022 statt, ab ca. 14:15 Uhr – eine Uhrzeit, ab der in dieser Jahreszeit üblicherweise ein Temperaturplateau erreicht wird, von dem aus es erst in den Abendstunden wieder abkühlt. Weder Einstrahlung noch Windverhältnisse haben sich während der Ausfahrt signifikant verändert – es blieb bei strahlend blauem Himmel, mäßigem Südostwind und einer Lufttemperatur zwischen 32,5°C und 33°C. Was wollte ich mit der Hitzetour zeigen? Neben dem globalen Temperaturanstieg tun wir auch auf lokaler Ebene alles, um es heißer zu machen: Wenn in Wolkersdorf Flächen versiegelt, Bäume gefällt (oder nicht gepflanzt) und Bäche überplattet werden, ist das für das Weltklima irrelevant, verschlimmert aber in unserer unmittelbaren Wohn-, Arbeits- und Freizeitumgebung das Hitzeproblem weiter. Bäume spenden (vielfach erwiesen!) Schatten und kühlen die Umgebung durch die Verdunstung von Wasser – die Verdunstung erfordert Energie, die nicht in die Erwärmung der Oberfläche und der Luft geht. Gleichzeitig haben Asphalt- und Betonflächen eine sehr hohe Wärmekapazität und geben diese Wärme nach Sonnenuntergang deutlich langsamer ab als die Vegetation: Es wird nicht nur tagsüber deutlich wärmer, sondern bleibt auch abends länger warm. Eine Infrarotkamera ist ein gutes Instrument, um die Effekte der Oberflächengestaltung eindrucksvoll darzustellen. Man muss sich aber auch ihrer Schwächen bewusst sein. IR-Kameras ermitteln die Oberflächentemperatur basierend auf der Wärmeabstrahlung. Diese Abstrahlung hängt von der Temperatur ab: Je höher die Temperatur eines Körpers, desto mehr Wärmestrahlung gibt er ab – in der Physik beschrieben durch das Plancksche Strahlungsgesetz. Die IR-Kamera misst diese abgestrahlte Energie und schließt daraus auf die Temperatur. Die Methode hat einen Haken: Neben der Temperatur hängt die Abstrahlung z.B. auch davon ab, wie durchlässig ein Körper für Strahlung im gewählten Wellenlängenbereich ist, oder wie stark er die Strahlung reflektiert. Das kann eine IR-Kamera aber nicht automatisch berücksichtigen, daher wird für bestimmte Körper, z.B. Glas oder Metall, eine falsche Temperatur ermittelt. Immerhin, für die meisten handelsüblichen Materialien gilt das nicht, und für Oberflächen aus Beton und Asphalt oder auch für Vegetation gelten die Annahmen, auf denen das Funktionsprinzip der IR-Kamera beruht, in sehr guter Näherung. An dieser Stelle noch wichtig anzumerken: Die Oberflächentemperatur ist nicht mit der Lufttemperatur gleichzusetzen, die im Wetterbericht und auch auf dieser Seite das Standardmaß ist. Bei Sonneneinstrahlung erwärmen sich Oberflächen in der Regel deutlich stärker als die angrenzende Luft. Die Oberflächentemperatur interagiert aber logischerweise mit der Lufttemperatur, und so ist über besonders heißen Oberflächen auch eine höhere Lufttemperatur zu erwarten. Hier nun die Hitliste meiner Ausfahrt – das sind die heißesten Plätze, die der IR-Kamera unter die Linse kamen.
Platz 3: P&R-Anlage beim Bahnhof Wolkersdorf
In den letzten Jahrzehnten großzügig erweitert, nehmen die Parkplätze rund um den Bahnhof mittlerweile eine riesige Fläche ein. Der Zweck, Leuten das Umsteigen auf die Bahn zu erleichtern, heiligt vielleicht nicht alle Mittel: Viel Asphalt konkurriert vor allem südlich der Bahngleise mit wenig Schatten. Ein paar Alibibäume zeugen vom erkannten Problembewusstsein und bringen Bonuspunkte, können aber auch nicht verhindern, dass sich die Oberfläche an diesem Tag bis auf 50°C erwärmt. Schnell ab in den klimatisierten Zug.
Platz 2: Billaparkplatz Hofgartenstraße
Vor etwa einem Jahrzehnt hat man sich beim Umbau dieser beliebten Rewe-Filiale dazu entschlossen, den Parkplatz ins Rampenlicht zu stellen und das Geschäftslokal von der Straße weg zu verlegen. Dadurch reduzierte sich die Parkfläche zwar von 2200 m² auf 1500 m² (nachgemessen anhand historischer Luftbilder), Platz für Grün hat man scheinbar trotzdem nicht gefunden: Am ganzen Grundstück gibt es keinen einzigen Baum. Etwas Schatten spenden die umliegenden Gebäude, reicht aber trotzdem für knapp über 50°C.
Platz 1: Spar am Julius-Bittner-Platz
Beim Umbau des ehemaligen Zielpunkts wollte Spar auf Nummer sicher gehen und hat keine einzige Versiegelungssünde ausgelassen. Der Supermarkt mit der Tanne im Logo hat keinen einzigen Baum am neuen Parkplatz, die Parkplatzfläche wurde großzügig erweitert und bestehende Rasenflächen durch Asphalt ersetzt, der über das Grundstück fließende Mühlbach in den Untergrund verlegt (fortschrittlichere Städte beginnen derzeit wieder, einst unterirdisch verlegte Gewässer an die Oberfläche zu holen – Verdunstung!) und des kleinen Grünkorridors entlang des Baches hat man sich zur Sicherheit auch entledigt. Fast als Hohn sind schmale Streifen zur Adlergasse hin mit Schotter ausgelegt. Als gestalterisches Element wird der Parkplatz statt von Bäumen durch Metallstangen abgegrenzt, an denen man gut Wetterstationen befestigen könnte, um den Wärmeinseleffekt zu demonstrieren. Durchaus humorvoll das Spar-Marketing: Die Filiale rühmt sich ihres Beitrags zum Klimaschutz aufgrund der PV-Anlage am Dach. Schön, dass dieser Spar im Gegensatz zu anderen Supermärkten eigenen Strom erzeugt, und auch gut, dass die Filiale nicht auf die grüne Wiese an den Stadtrand gepflanzt wurde. Gerade im dicht bebauten Stadtgebiet wäre aber umso größere Sorgfalt bei der Oberflächengestaltung notwendig. Gemeinsam mit den angrenzenden Straßenflächen sowie den Parkplätzen von Hotel und Julius-Bittner-Platz (dort immerhin Bäume) ist hier eine unnötig stark ausgeprägte Wärmeinsel entstanden. Es ist mir rätselhaft, wie solch ein Projekt noch im Jahr 2020 realisiert werden konnte. Das Resultat am 25.07.: Maximal 53°C Oberflächentemperatur. Hier habe ich zusätzlich zur Oberflächentemperatur auch die Lufttemperatur im Schatten gemessen, sie war nur durch den lokalen Einfluss des Parkplatzes um 2°C höher als an meiner Wetterstation im Garten.
Epilog
Zum Abschluss noch ein paar ehrenwerte Nennungen von Plätzen, die es nicht in die Auflistung geschafft haben. Hier wäre zum Beispiel der Platz der Generationen vor dem Gymnasium zu nennen, dessen edukativer Charakter zukunftsweisend ist. Hier wird kommenden Generationen vor Augen geführt, wie man innerstädtische Flächen besser nicht gestalten sollte. Im Zuge der Messfahrt: 45°C. Die Gründe, warum es nicht zu einem der Spitzenplätze gereicht hat, sind bewusste Designdetails: Immerhin helle Pflastersteine, die mehr Sonnenlicht reflektieren, und zumindest ein paar Bäume rund um den Platz.
Es gibt aber auch echte Positivbeispiele in der Stadt. Der Parkplatz des Sommerbades ist halbwegs gut beschattet, und die Stellplätze sind nicht asphaltiert, sondern mit Gras bewachsen. In der Sonne werden es trotzdem 45°C, im Schatten der Bäume nähert sich die Oberflächentemperatur der Lufttemperatur von etwa 33°C an. Warum war hier bei der Umgestaltung vor 25 Jahren möglich, was an anderen Stellen heute nicht mehr geht? Und auch der Julius-Bittner-Platz selbst könnte, wenngleich vorhin gerade noch geschmäht, schlimmer gestaltet sein: Zwar alles versiegelt, aber wenigstens mit hellen Pflastersteinen, die eine merkbar geringere Temperatur als dunkler Asphalt aufweisen. Mittlerweile recht stattliche Platanen spenden dank ihres dichten Blätterdachs Schatten.