Gefrierender Regen
08.12.2019 00:00
Unangenehm für Winter- und Wetterdienste, schön anzuschauen aber allemal: Der gestrige gefrierende Regen ist im Weinviertel kein übermäßig häufiges Ereignis, und dessen Genese ein wunderbares Thema für den ersten Beitrag seit längerer Zeit. Wie nur wenige andere meteorologische Erscheinungen zeigt er sehr anschaulich, warum es sich bei der Wetterprognose um ein dreidimensionales Problem handelt.
Eine Begriffsabgrenzung ist am Beginn leider unabdingbar, denn es flattern mehrere Namen für leicht unterschiedliche Phänomene herum. Zunächst zum gefrierenden Regen: Dies sind flüssige Regentropfen, die erst am Boden bei Temperaturen unter dem Gefrierpunkt gefrieren. Die Regentropfen selbst müssen nicht zwangsläufig wärmer als 0°C sein - flüssiges Wasser unter 0°C ist möglich, wenn nicht ausreichend Kristallisationskeime vorhanden sind, an denen der Gefrierprozess einsetzt. Diese unterkühlten Regentropfen frieren umso schneller an, wenn sie am Boden auf eine feste Oberfläche treffen. Eisregen hingegen besteht aus bereits in der Luft wieder gefrorenen Regentropfen, es prasseln also kleine Eiskörner auf den Boden.
Die Entstehungsgeschichte beider erwähnter Formen ist dieselbe. In größeren Höhen fällt Schnee, der in einer wärmeren Luftschicht zu Regentropfen schmilzt. Darunter befindet sich aber eine Luftschicht mit Temperaturen unter 0°C, sodass es wieder zum Gefrieren kommt (ob nun am Boden oder in der Höhe). Wie Sie vielleicht schon herauslesen, ist für gefrierenden Regen und Eisregen also eine Temperaturinversion - eine vorübergehende Temperaturzunahme mit der Höhe - Voraussetzung. Außerdem muss die Temperatur im Bereich dieser Inversion über 0°C ansteigen. Als Meteorologe oder Meteorologin wird man durch dieses Phänomen bisweilen vor Herausforderungen gestellt, denn kleine Änderungen in der Temperaturprognose können große Auswirkungen haben: Manchmal entscheiden ein paar Zehntelgrad in jener Temperaturschicht, in der die Temperatur über 0°C steigt, ob die Schneeflocken von darüber schmelzen, oder als Schneeflocken bis zum Boden durchfallen können. Genauso ist es oft fraglich, ob die Temperaturinversion bis zum Einsetzen des Niederschlags - häufig verbunden mit einer Front - überhaupt bestehen bleibt, oder ob mit auflebendem Wind die bodennahen Temperaturen bereits vorher ansteigen. Besonders wichtig ist daher, bei unmittelbar drohendem gefrierendem Niederschlag die Temperaturen von Bergstationen, sofern sie im Bereich der Warmluft liegen, aktuelle Radiosondenaufstiege und Windmessungen im Auge zu behalten. In der längerfristigen Vorhersage kommt man um die von Wettermodellen ausgegebenen Temperaturprofile nicht herum, um Warmluftschicht und -ausprägung beurteilen zu können.
Wetterlagen, die besonders häufig für gefrierenden Regen sorgen, sind winterliche Warmfronten oder Okklusionen. Bei diesen macht sich die Front zunächst nur in der Höhe bemerkbar, während die Luftmassen bodennah lange kaum beeinflusst werden. Lagert also ganz unten alte, präfrontale Kaltluft, kann der Niederschlag schon einsetzen, bevor sich die Warmluft bis zum Boden hin etabliert hat, und es bei geeignetem Temperaturprofil zum gefürchteten gefrierenden Regen kommen. Im konkreten Fall herrschte bereits seit Mittwoch eine Inversionswetterlage, mit kühlem Südostwind am Boden, und deutlich wärmerem Westwind ab etwa 1000m Seehöhe. Unter der Hochnebeldecke veränderte sich die Temperatur kaum und hätte uns am Donnerstag beinahe den ersten Eistag des Winters beschert, während Radiosonden in einer Luftschicht zwischen 1000 und 2200m über 5°C messen konnten. In der Nacht auf Samstag näherte sich das okkludiertes Frontensystem eines Tiefdruckgebiets über Skandinavien. Mit der Anfeuchtung in höheren Luftschichten kam es am Vormittag zu Niederschlag, während im östlichen Weinviertel der Südostwind bodennah weiterhin wehte und die Inversion stützte - perfekt war der gefrierende Regen bei -0,5°C. Auch in weiterer Folge sollte sich in Wolkersdorf bis in die Nacht auf Sonntag keinem Zeitpunkt der solche Fronten üblicherweise begleitende Westwind durchsetzen, zu gering war der Druckabfall an der Front selbst, und zudem hielt ein kleinräumiges Hochdruckgebiet über Ungarn dagegen. In Wolkersdorf stieg die Temperatur erst über 0°C, als der Regen im Laufe des Vormittags abgezogen war und die Sonne zum Vorschein kam. Während sich in weiterer Folge sowohl in Wien, als auch im westlichen Weinviertel doch noch schwacher (Süd)Westwind etablieren sollte, blieb Wolkersdorf den ganzen Tag über in der kalten Inversionsluft. Das zeigte sich auch in einer interessanten Temperaturverteilung am Nachmittag: In Wien wurden bereits 10°C gemessen, in Wolkersdorf zur selben Zeit lediglich 3°C. Auch in Stockerau und Hollabrunn wurden über 8°C verzeichnet. Die Grenze zwischen wärmerer und kälterer Luft verläuft in so einem Fall teilweise sehr scharf, sowohl vertikal als auch horizontal: Wer gestern etwa in Pfösing oder den (etwas) höheren Lagen des Hochleithenwaldes unterwegs war, konnte dort schon an der milderen Luft schnuppern. Ebenso bemerkenswert waren die nach Südwesten ausgerichteten und sich munter drehenden Windräder in der Umgebung von Wolkersdorf, während es direkt am Boden immer bei schwachem Ost- bis Südostwind blieb; die Inversionsluft war also nur mehr wenige Dutzend Meter mächtig. Über Nacht wurden schließlich die letzten Reste der Inversionsluft weggeputzt, und heute kam auch Wolkersdorf in den Genuss von sonntagstauglichen 9°C, wogegen nun auch der wieder auflebende Wind aus östlichen Richtungen nichts abzuhelfen vermochte.