Kaltluftbetrachtungen
30.01.2019 00:00
Windstille, eine möglichst klare, trockene Nacht mit einer Schneedecke: Das sind die Zutaten, aus denen die Träume von Kaltluftfreunden und -freundinnen bestehen. Die letzten Nächte liefern dazu anschauliches Material, aber zunächst zur Theorie.
Jeder Körper mit einer Temperatur über dem absoluten Nullpunkt strahlt Wärme ab, deren Betrag über das Stefan-Boltzmann-Gesetz berechnet werden kann (der Name dieser physikalischen Gesetzmäßigkeit geht übrigens auf zwei österreichische Wissenschaftler zurück). Die Erde kann gar nicht anders, als dies auch zu tun. Nachts mit dem kleinen Unterschied gegenüber dem Tag, dass von der Sonne keine Einstrahlung auf die Erde trifft, wenn man vom Licht absieht, das vom Mond reflektiert wird und aber wirklich vernachlässigbar ist. Die unmittelbare Erdoberfläche kühlt aufgrund ihres hohen Emissionsgrades besonders stark ab, sodass sich bald ein Wärmefluss von den untersten Luftschichten zum Boden, aber auch von tieferen Bodenschichten zur Erdoberfläche einstellt. Das Resultat: Die unterste Luftschicht kühlt ab, ebenso tiefere Bodenschichten. Liegt nun eine Schneedecke, strahlt der Boden zwar weiterhin ungefähr gleich viel Wärme ab, durch die isolierenden Eigenschaften von Schnee ist aber der zur Erdoberfläche gerichtete Bodenwärmefluss viel kleiner – Erdoberfläche und Luft können nun im Gegenzug ungleich stärker abkühlen. Die Rolle des Windes besteht darin, dass durch turbulenten Austausch mit höheren Luftschichten oder horizontale Advektion die bodennahe Luftschicht permanent ersetzt wird, sodass die zunächst rein bodennahe Abkühlung der Luft vermindert wird. Ideal für einen kräftigen Temperaturrückgang ist also ruhende Luft. Als Folge kühlen Senken und Beckenlagen stärker ab, einerseits weil die Kaltluft darin kaum abfließen kann, und weil sie besser vom Umgebungswind abgekapselt werden. Und Bewölkung? Die Wassertröpfchen in ebendiesen strahlen ebenfalls Wärme in alle Richtungen (also auch zum Boden hin!) ab, und reduzieren die Nettoabstrahlung vom Erdboden Richtung Weltraum. Zuletzt noch zur Luftfeuchtigkeit: Je geringer diese ist, desto später setzt Kondensation (Tau-, Nebelbildung) oder Resublimation (Reifbildung) ein – beides Phasenumwandlungen, die der Umgebungsluft Wärme zuführen. Ebenso ist Wasserdampf ein sehr potentes Treibhausgas, und je weniger davon vorhanden ist, desto weniger strahlt die Luft selbst zum Erdboden zurück. Das Beste daran: Operationelle Wettermodelle tun sich schwer dabei, die kleinskaligen Auswirkungen dieser Effekte aufzulösen. Bedeutet, dass die Abschätzung der Tiefsttemperatur in solchen Nächten wirklich noch Handarbeit des Meteorologen oder der Meteorologin erfordert.
Ein Beispiel für eine solche Konstellation war die Nacht von Montag auf Dienstag, als der Wind im nordöstlichen Weinviertel vorübergehend einschlief, und das Resultat war dank der Schneedecke eindrucksvoll: In Mistelbach sank die Temperatur allein zwischen 22:40 und 22:50 Uhr von -4,5°C auf -6,8°C, während es zur selben Zeit in Wolkersdorf mit leichtem Westwind knapp über 0°C hatte. Mit auffrischendem Westwind stieg die Temperatur auch in Mistelbach bis Mitternacht schnell wieder auf um die 0°C. In der vergangenen Nacht waren die Bedingungen noch etwas besser, der Druckgradient nämlich schwächer, und dementsprechend kühlte es im Weinviertel verbreitet und langanhaltend stärker ab. In Niederösterreich führten die Weinviertler ZAMG-Stationen das Ranking der kältesten Stationen an, weil die Bedingungen anderswo weniger optimal waren: Hohenau mit -16,4°C vor Laa mit -14,5°C und Mistelbach mit -14,1°C (die Station Leiser Berge als erhöhte Station hatte gleich nur mehr -6,5°C). Wolkersdorf übrigens ebenfalls weit abgeschlagen mit -8,8°C - was nächtliche Abkühlung anbelangt, gibt es im Weinviertel eindeutig bessere Standorte als den Wolkersdorfer Ortskern. Wobei es einzelne Gegenden im Wolkersdorfer Gemeindegebiet gibt, die ‚besser‘, also kälter sein dürften: Zum Beispiel Freybergen, oder auch der Graben zwischen Pfösing und Manhartsbrunn.
Die kommenden beiden Nächte werden nicht mehr so wunderbare Fallbeispiele liefern können: Heute macht die Bewölkung einen Strich durch die Rechnung, und morgen Nacht wird der Südostwind schon zu stark sein. Für negative Temperaturen reicht es trotzdem – noch. Am Wochenende befindet sich ein Tiefdruckkomplex über Westeuropa, an dessen Vorderseite wir eine brutal milde Südwestströmung (bodennah in unserem Raum Südost) abbekommen, mit zweistelligen Temperaturen am Samstagnachmittag.